Das Vibrato
Ein Wort, ein Vorgang, der Assoziationen hervorruft, der zu Diskussionen Anlass gibt, der die Fantasie auf den Plan ruft. Jedenfalls bei mir.
Mein Cluster gibt einmal mehr Aufschluss. Ich sehe die Worte „Sehnsucht“, mir fällt „Good vibrations“ ins Auge und sofort höre ich die Beach Boys und bekomme gute Laune.
Es fängt an, in mir zu vibrieren, Lebensfreude und Natürlichkeit kommen mir in den Sinn.
So viele Assoziationen, die sich um den Einzug durch das Goldene Tor drängeln, alle wollen dabei sein, alle wollen gesehen werden.
Auf einmal gibt es viele, viele Bereiche meines Lebens, die mir dabei einfallen, die von diesen Phantasien und Assoziationen nur so wimmeln.
Die Geschichte meines eigenen Vibratos
Als erstes die Geschichte meines eigenen Vibratos. Ich bin klassische Sängerin, ich bin Opernsängerin. Als solche geht es ohne Vibrato nicht. Vibrato ist ein Qualitätsmerkmal. Wenn Raum, Luftdruck und Schwingungsfähigkeit in einer guten Balance sind, stellt es sich von selbst ein. Was für eine Herausforderung für einen Menschen, der so gern machen und kontrollieren möchte wie ich. Was habe ich nicht alles getan, gelesen, um es endlich zu bekommen. Denn ähnlich wie das schön gerollte Zungen-R war es am Anfang nicht da und stellte sich auch nicht einfach und mit Leichtigkeit ein.
Oh Gott, ein Tremolo
Und folgerichtig war dann die erste und für lange Zeit einzige Stimmbewegung, die bei mir auftrat ein Tremolo. Das ist eine eher unrhythmische Bewegung der Stimmlippen, die man mit Zittern vergleichen könnte, die zu schnell ist und vor allem deutet sie auf eine Schließung im Vokaltrakt hin. Und mit diesem Vokaltrakt hatte ich auch schon viel in meinem Leben zu tun.
Und ganz ähnlich wie der Vokaltrakt, lehrte mich auch das Vibrato vieles über mich selbst.
Vibrato – gesangswissenschaftlich und emotional
Wir können es rein von der gesangswissenschaftlichen Seite betrachten. Da ist es eine regelmäßig eigenständige Schwingung der Stimmlippen zwischen 5 und 7 Hz. Ist es schneller als 7 Hz nennt man es Tremolo, wenn es langsamer ist, ist es ein Wobble. Aber was bedeutet es für die einzelnen Sänger:innen rein emotional, was bedeutet es für unsere Musik emotional und was noch alles im Leben ist davon betroffen?
Dies ist kein Blog-Artikel, der über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit von Kehlkopfvibrato, Zwerchfell- oder Bauchvibrato aufklären möchte. Übrigens alles Begriffe, mit denen ich es immer mal wieder zu tun bekomme. All das wird wahrscheinlich Teil eines Kapitels des Buches werden.
Nein, ich beschäftige mich hier mit dem Begriff und meinen ganz persönlichen Assoziationen.
Das Wort kommt aus dem Italienischen von vibrare – vibrieren, schwingen. Italienisch war schon immer die Sprache des klassischen Gesangs.
Vibrato ist Schwingung ist Gefühl
Mein ganzes Blatt des Clusters ist voll von Schwingungs-Worten und kleinen Schwingungs-Sätzen.
- mit jemandem schwingen,
- die Schwingen ausbreiten und fliegen,
- durchschwingen,
- mich selbst und andere in Schwingung versetzen
- Schwingungsablauf
- auf gleicher Wellenlänge schwingen
- ein Einschwingvorgang
- beschwingt durchs Leben gehen.
Alles Begriffe, die so viel bedeuten können. So viel mehr in sich tragen als nur einfach das Wort Vibrato zu erklären.
In der Musik wird das Vibrato dort eingesetzt wird, wo es um die großen Gefühle geht. Im klassischen Gesang geht es eigentlich meistens um große Gefühle, denn der Gesang ist eine Überhöhung des gesprochenen Wortes. Wenn Worte nicht mehr ausreichen, beginnt der Gesang.
Im Populargesang wird das Vibrato, was sonst eher wenig bis gar nicht vorkommt immer dann eingesetzt, wenn die Gefühle mehr werden, wenn noch mehr Bedeutung in den Gesang kommen soll. Es ist ein Stilmittel für Steigerung und für die großen Emotionen.
Berührung
Es kann entstehen, wenn unsere Stimmlippen nicht gegeneinander gepresst werden durch zu hohen Luftdruck, sondern wenn sie die Erlaubnis haben, miteinander, aneinander schwingen zu dürfen. Sie dürfen sich innen berühren. Und schon kommen neue Assoziationen.
Eine innere Berührtheit also. Sich berühren und berührt werden. Das kenne ich aus sehr vielen Bereichen, wo ich mit jemandem schwingen darf. Natürlich im Singen, wenn ich Duette und Ensembles gesungen haben und die Chemie gestimmt hat. Auch mit einer Pianistin, einem Pianisten konnte ich das von Zeit zu Zeit erleben, dieses innere Schwingen miteinander.
Ich kenne das Miteinander schwingen aus der sexuellen Begegnung. Auch da kann es ein körperlicher Ausdruck sein, miteinander zu schwingen und zu vibrieren. Und auch die Stimme bekommt eine andere Schwingung, wenn wir uns im Bereich des Erotischen befinden. Sie wird nicht nur dunkler, sondern oft auch voller und berührt andere Bereiche in unserem Körper, wenn wir uns auf diese Stimme einlassen. Sowohl im Hören als auch im selber klingen.
Und ich kenne es aus dem Tanzen. Dort schwingt man sowohl im körperlichen als auch im emotionalen Sinn miteinander. Und wenn ich einen dieser himmlischen Tänze erwischte, dann konnte ich manchmal spüren, wie mein Partner und ich anfingen zu beben. Das sind die Momente, die ich besonders liebe, denn da geht die emotionale Schwingung auf einmal durch den ganzen Körper und bricht sich in diesem Beben, in dem Vibrieren Bahn.
Vibrato im Gesang
Und zurück zu mir und dem Gesang. Wir können es rein wissenschaftlich betrachten. Aber auch wissenschaftlich sind bei diesem Thema noch etliche Fragen offen. Wir können in unserer Art zu unterrichten, die körperlichen Voraussetzungen schaffen, damit ein Vibrato geschehen kann. Denn niemand kann es machen. Und wir können uns erlauben, uns von unserer eigenen Schwingung berühren zu lassen, uns über sie auszudrücken, uns über sie sogar ausdrücken zu wollen. Eine Sehnsucht danach entwickeln. So wie ich damals in meinem Studium des Operngesangs.
Und spannend sind auch die neurologischen Fragen. Denn wenn wir es nicht machen können, welche Art von Neurologie erlaubt diesen Schwingungsablauf? Wo und wie wird all das erzeugt? Wie kommt die Synchronizität zustande, die ich immer dann fühlen kann, wenn ich mit jemandem auf der gleichen Wellenlänge schwingen und tanzen kann? Oder wenn mein Vibrato sich einfach einstellt beim Singen? Wo im Nervensystem wird das geregelt?
Mystik und Wissenschaft?
Können wir uns auf der einen Seite das Mysterium erhalten und immer wieder staunend davor stehen, wenn wir plötzlich miteinander schwingen und gleichzeitig neugierig sein, wie genau unsere Körper das machen? Die Neurologie zeigt uns Wege, dass Wissenschaft und Mystik, der Gegensatz, der immer weniger ein Gegensatz ist, miteinander funktionieren, sich bedingen. Ist das nicht spannend?