Die Dirigentin – Maria Peters

Buchcover Die Dirigentin
(Die Dirigentin von Maria Peters, Übersetzung aus dem Niederländischen: Stefan Wieczorek, Hamburg 2020 (Amsterdam 2019), Hoffmann und Campe Verlag, 331 S.)

In zwei Tagen habe ich es gelesen. Und es hat nur so lange gedauert, weil es noch andere Termine gab. 😏

Dies Buch hat mich sofort gefesselt. Was für eine Geschichte, was für eine Power diese Frau gehabt haben muss. Was für ein Leben.

Antonia Brico, eine Niederländerin, die in den USA aufgewachsen ist und nicht nur einen bewegten Lebenslauf hatte, weil sie ein Adoptivkind war, sondern die es schaffte als Dirigentin zu arbeiten. Nein, sie hatte nie eine Festanstellung, denn welcher Mann wollte schon “unter” einer Frau sein?

Wo stände sie heute, wenn sie 50 Jahre später geboren wäre?

War sie zu früh für ihren Wunsch, wäre sie heute eine gefeierte Dirigentin geworden, die nicht nur all die berühmten Orchester als Gast dirigiert hätte? Vielleicht wäre sie in die nähere Auswahl für die Stelle einer Chefdirigentin der Berliner, die Wiener Philharmoniker gekommen? Hätte sie an der MET, der Mailänder Scala dirigiert? Und zwar gleichberechtigt und unter fairen Bedingungen?

Erst 1982 durfte bei den Berliner Philharmonikern unter Karajan die erste Frau als Geigerin mitspielen. Madeleine Carruzzo.

Dirigentinnen gab es erstaunlicherweise schon immer mal bei den Berlinern. Auch Antonia Brico gehörte dazu. Allerdings “nur” im Rahmen ihres Abschlusses an der Berliner Musikhochschule. Und eine Chefdirigentin hatten sie dort noch nie.

Wie sieht es  heute aus?

Aber heute gibt es immer mehr Dirigentinnen. Dass es immer noch nicht selbstverständlich ist, ist eigentlich schon lange nicht mehr zeitgemäß, aber wir sehen es noch überall.

Und es kommen immer wieder Sprüche von Menschen, die gar nicht bemerken, was sie damit eigentlich sagen. Wie eine nahe Verwandte von mir, die auf die Idee, dass Annalena Baerbock Kanzlerin werden könnte ganz unschuldig sagte: wir hatten doch jetzt so lange eine Frau, da könnte doch mal wieder ein Mann dran kommen. Äh, ja, ich sag nur: Adenauer, Erhard, Kiesinger, Brandt, Schmidt, Kohl, Schröder, oh Merkel. Stimmt genau, die armen Männer, sie werden diskriminiert, das sieht man auf den ersten Blick.

Oder ein guter Freund und Kollege von mir: Frau … am Dirigentenpult, das sieht irgendwie merkwürdig aus, sie dirigiert irgendwie gut, aber das passt irgendwie nicht. Was bitte passt da nicht? Diese Sätze enthalten mir zu viele “Irgendwie’s”. Gefällt dir die Interpretation nicht? Das passiert mir bei vielen Dirigenten auch, das ist normal in der Musik und das kann man benennen. Gefällt die Kleidung nicht? Sollten Frauen auch wie Pinguine herum laufen? Oder was sonst?

Meine eigene Geschichte mit den Frauen in der Musik

Vor über 30 Jahren habe ich in der Stadtbibliothek ein Pratikum gemacht und eine Bibliografie über Komponistinnen zusammen gestellt. Ich habe viel gelesen und schon damals gedacht, dass es für Frauen so schwer als Musikerin ist, wenn sie nicht Flötistinnen, Harfenistinnen oder Opernsängerinnen sind.

Ich habe mit einem Chor, der aus LaiensängerInnen bestand den March of the woman von Ethel Smyth aufgeführt, die sich später in ihrem Leben den Sufragetten anschloss. Ein sehr informativer Artikel mit der Beschreibung ihres bewegten Lebens findet sich bei Wikipedia.

Ich lese seit Anbeginn die EMMA und mich begeistern Frauen, die ihren Weg gehen, auch wenn es so viele Widerstände zu überwinden gilt.

Antonia Brico im Buch

Aber zurück zu Antonia Brico. Gegen so viele Widerstände ihren Weg zu gehen, Dirigentin zu werden. Das hat mich beeindruckt, das hat mich zu Tränen gerührt, das hat die Power in mir geweckt, den eigenen Weg zu gehen, was immer es auch ist, wofür wir brennen. Das hat Kraft gegeben. Natürlich enthält sowohl der Roman als auch der Film Elemente und Figuren, die nicht real waren. Eine Liebesgeschichte, wie die zwischen ihr und Frank macht sich immer gut und sorgt für noch mehr Rührung und Tränen, auch bei mir, das gebe ich unumwunden zu. Aber wenn es sie bekannter macht, heiligt in diesem Fall der Zweck die Mittel, wie ich finde.

Die eigene Zwiespältigkeit

Und ich denke auch, warum soll es nicht in Ordnung sein, sich wegen einer romantischen Liebesgeschichte die Augen auszuweinen? Kann man die tiefe Sehnsucht in sich zu spüren, dass man so gern selbst eine romantische Liebe erleben und leben möchte? Und ist es gleichzeitig möglich, eine starke Frau zu sein, die ihren Weg geht?

Mich hat es mein ganzes Leben lang zerrissen zwischen dem, wie man als Frau sein sollte, was weiblich ist und was ich alles in mir fühlen kann und konnte und ich als “weiblich” definieren würde und dem, dass ich gleichzeitig so viel Power habe, dass ich “männlich” und dominant sein kann. Das hat nicht wenige Männer abgeschreckt, die so gern nur eine Seite sehen möchten. Und ich mittendrin mit der ständigen Frage: wer bin ich denn nun?

Und auch im Buch ist die Handlung irgendwie typisch. Sie verzichtet auf den Mann, weil sie weiß, dass sie sonst ihren Beruf nicht ausüben wird. Ist das nicht etwas, was heute immer noch so ist? Wird ein Mann, der Vater wird gefragt, wie er es denn jetzt mit seinem Beruf als Manager zeitlich vereinbaren wird, dass er so oft arbeiten muss? Ich bin das ständig gefragt worden, als ich wieder arbeiten ging. Und das obwohl ich keine Managerin bin.

Das Verhältnis von Männern und Frauen

Vielleicht habe ich auch deshalb so viel geweint in dem Buch, weil alle Themen, die mich auch mein Leben lang beschäftigen angesprochen wurden. Wir haben viel geschafft und es hat Frauen gegeben, Frauen wie Antonia Brico, die unter ganz anderen Bedingungen als wir heute ihren Weg gegangen sind.

Aber können wir uns deshalb entspannt zurück lehnen, haben bei der nächsten Opernaufnahme, die wir uns kaufen möchten die Wahl zwischen 20 superguten Dirigentinnen, auf deren Interpretation wir neugierig sind? Oder kommt wieder eine gute Bekannte daher und sagt: nun sei doch nicht so fordernd, es gibt doch nun wirklich genug Dirigentinnen. Die Männer sind jetzt aber auch mal wieder dran.

Ich jedenfalls habe ich dem Buch allem entgegen gefiebert, was als Handlung noch kommen sollte. Was ist das Geheimnis von Robin? Wird sie doch noch mit Frank zusammen kommen?

Aber am meisten hat mich interessiert: welche Orchester  wird sie dirigieren? Werden die Männer es ihr zu schwer machen? Wird sie am Ende Erfolg haben? Wird sie ein gutes Leben haben können? Wird sie etwas an die Generation von Frauen, die nach ihre kommen weitergeben können? Wird sie eine Rolle in der Geschichte spielen oder wird sie, wie so viele Frauen vor ihr einfach vergessen werden, so dass wir mit der weiblichen Geschichtsschreibung immer wieder von vorne anfangen müssen?

Nicht immer wieder vergessen werden

Dies Buch und auch der Film tragen vielleicht dazu bei, dass sie nicht in Vergessenheit gerät. Ich und hoffentlich auch andere werden sich mehr mit dem Thema beschäftigen. Und wir alle werden es immer normaler finden, wenn Frauen am Pult stehen. Und irgendwann wird es hoffentlich keine Rolle mehr spielen. Weil es um die Musik geht, weil es um die Persönlichkeit geht.

Und da sind wir alle einzigartig und haben der Welt etwas zu geben, wenn wir unserer Begeisterung freien Lauf lassen. Seien wir nun  Männer oder Frauen oder etwas Anderes zwischen diesen beiden Möglichkeiten. Denn die ganze Welt steht uns allen offen – das jedenfalls wünsche ich mir für uns alle.

 

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