Klang und Meditation
Heute beschäftigte ich mich mit meinem Kapitel des Buches, was die große Überschrift MEDITATION hat.
Zu diesem Thema fällt mir eine Begebenheit ein, die ich in Lichtenberg mit meiner Stimme hatte. Dort gibt es das Lichtenberger Institut, ein Institut, das sich mit Stimme und Instrument, mit Klang beschäftigt.
Ganz früher gab es eine Zusammenarbeit mit meinem verstorbenen Lehrer Eugen Rabine, aber das ist sehr lange her und die beiden Institute sind sehr unterschiedliche Wege gegangen, auch wenn sie gleiche Wurzeln haben.
Oft war ich auch zu Kursen am Lichtenberger Institut, denn mich interessierten die unterschiedlichen Sichtweisen auf die Stimme und ich habe dort immer wieder unglaubliche Inspirationen für meine Stimme, aber auch für das Hören der Stimmen meiner Schüler:innen bekommen.
Meine Stimme in meditativer Stimmung
Ich hatte das große Glück, öfter mit Gisela Rohmert selbst arbeiten zu dürfen. Sie war für mich immer wieder eine Quelle der Inspiration. Für mich selbst und für meine Stimme.
Das Arbeiten dort am Institut hat für mich viel mit Meditation zu tun. Denn eigentlich habe ich immer auf einem Ton gesungen. Es ging vor allem um die Suche nach meinem Klang. Wie kann ich ihn locken? Was inspiriert mich, was inspiriert meinen Kehlkopf? Was kitzelt die faszialen Strukturen, die meinen Kehlkopf und Vokaltrakt ausmachen? Welche Bilder, welche anderen Vorstellungsebenen erreichen mich?
Arbeit mit dem Schleim
An diesem besonderen Tag arbeiteten wir mit Gefühlen von Schleim. Ich bin Asthmatikerin und bemerkte irgendwann, dass meine Stimme wieder viel Schleim produzierte. Das macht sie manchmal, einfach so. Und Frau Rohmert warf immer wieder Bilder ein. Über den Schleim. Manche von euch haben an Schleim vielleicht ekelhafte Assoziationen. Aber für mich war der Schleim in diesem Moment als allererstes eine Erleichterung, dass er quasi wie ins Rampenlicht gestellt wurde.
Denn für gewöhnlich wollen wir Schleim weg haben. Er stört den klaren Ton, er ist vielleicht ein Zeichen, dass ich mal wieder meine Stimme überanstrengt habe, er hindert mich am richtigen Singen, es klingt unprofessionell. All das sind Urteile, die ich mir in meiner Sängerinnen Laufbahn angehört und die ich verinnerlicht habe.
Und nun auf einmal soll ich ihn willkommen heißen. Was für eine Erleichterung. Ich konnte spüren, wie viel Ballast von mir und meiner Stimme abfiel.
Ich fing unter ihrer Leitung an, ihn zu untersuchen, ihn durch meine Wahrnehmung, durch Bilder wahrzunehmen.
Ich konnte ihn glitzern sehen, konnte seine Weichheit spüren, konnte die Bläschen fast sehen.
Seine Konsistenz war nicht mehr länger ekelhaft oder peinlich, sondern ich wurde neugierig. Wie fühlt sich zäh an? Wie fühlt sich flüssig an? Was sagen meine Bronchien, die durch das Asthma oft so starr sind zu dieser Art von Schleim. Welche Kommunikation passiert ganz fein dort in meinem Inneren?
Es war, als würde ich ein Gespräch mit dem tiefsten Inneren meiner Bronchien haben. Noch nie war ich so intim mit dieser Stelle meines Körpers verbunden, wie in dieser Gesangsstunde.
Der Klang, meine Stimme
Und immer wieder sang ich. Diesen einen Ton, der sich auf und ab bewegte, in einem relativ überschaubaren Rahmen.
Der Klang fing auch an zu glitzern, so viele Obertöne waren zu hören. Ich verliebte mich neu in meine eigene Stimme. Das war für mich persönlich unglaublich berührend. So viele Urteile hatte ich über meine Stimme schon gehört, so viele Urteile hatte ich über sie schon selbst gefällt. So viel wurde an ihr herum geschraubt, damit sie endlich richtig wäre, schön klänge, den Schönheitsidealen von wem auch immer entsprach. Sie hatte sich so mühsam entwickelt, hatte es allen recht machen wollen. Und auch ich lobte oder verurteilte sie.
Aber in diesem Moment war da nur der Klang, von dem ich fasziniert war. Meine Bronchien, der Schleim, der Klang.
Und ich sagte: wozu brauche ich Mozart Arien, wenn ich diesen einen Ton singen kann, der für mich die ganze Welt enthält?
Dieser eine Moment, die ganze Welt
Genau das war meine Meditation, in dieser Gesangsstunde, in diesem einen Moment. Die ganze Welt, die äußere, wie die innere in einem einzigen Ton. Ohne Urteil, ohne Ästhetik. Dieser Klang, jetzt und jetzt und jetzt…
Liebe Hilkea,
dein wunderbarer Artikel hat mich zutiefst ergriffen und begeistert mich! Ich fühle dein steigendes Glücksgefühl beim Singen deines weltumspannenden Tons – danke fürs Teilen!
Liebste Grüße, Silke