Bodynamic, die Stimme, das Leben und die Gefühle

Thomas Mattern, Hilkea Knies, Christoph Wendel

Eine Woche: Emotionen, Stimme und Bodynamic

Heute findet eine wunderbare Arbeitswoche mit meinen beiden Kollegen Thomas Mattern und Christoph Wendel ihren Abschluss.

Für eine Woche hatten wir uns bei Thomas in seinem Arbeitszimmer verschanzt, geredet, geforscht und ausprobiert. Alle drei von uns haben das Foundation Training Bodynamic gemacht. Uns interessiert dies System sehr, denn Lisbeth Marcher und andere erforschten dort, wie sich die Entwicklung des Kindes vom 2. Trimester intrauterin bis in die Jugendzeit auf die Muskulatur und Faszienwelt auswirkt. Sie beobachteten, welchen Einfluss unsere Erlebnisse, die wir zu Beginn unseres Lebens mitbekommen auf das spätere Leben ausüben.

Ein wahrhaft spannendes Feld. Denn innerhalb der Rabine-Methode, nach der wir alle drei arbeiten gibt es viele Körperübungen, die natürlich die Muskeln und Faszien, ja ganze Körperbereiche ansprechen. Bisher haben wir uns viele Gedanken darüber gemacht, was das motorisch, was das physiologisch für uns bedeutet. Auch das ist spannend und wird von unseren Schüler:innen als sehr ganzheitlich erlebt, da wir deutlich mehr mit einbeziehen als nur die Ästhetik des Klangs und den Kehlkopf.

Aber wie würden wir arbeiten, wenn uns zusätzlich noch klar wird, dass Muskeln, Faszien und die Bewegungen, die wir erlernt haben einen ganz konkreten emotionalen Gehalt haben? Dass es psychologische Gründe, dass es frühe Erfahrungen sind, die es uns ermöglichen oder uns daran hindern, bestimmte Bewegungen leicht und fließend ausführen zu können?

Könnt ihr mir folgen? Ganz konkret: was wäre, wenn die Art und Weise, in der ich meine Arme bewege einen direkten Bezug dazu hätte, ob ich im kleinsten Alter zu ungebetenen Umarmungen und zu zu viel Essen hätte NEIN sagen dürfen?

Ist das nicht ein völlig überzogener Gedanke?

Der Kontakt zu uns und den anderen

Nein, das ist kein überzogener Gedanke, wie wir alle drei finden.

Denn die Entwicklungsphasen, die im Bodynamic beschrieben werden, machen für uns großen Sinn. Wir erleben dies Verhalten in der Art, wie wir uns selbst sehen und behandeln und dann bei uns im Kontakt mit anderen. Dies System ist sehr differenziert und gibt so viel Aufschluss. Nicht nur, dass es die einzelnen Entwicklungsphasen enthält, die wir schon bei Wilhelm Reich nachlesen können, nein, sie werden sogar noch weiter differenziert und in eine frühe und späte Ausprägung der Charakterstruktur unterschieden.

Und auch das macht Sinn. Denn es stellt sich die Frage, bin ich in der Zeit grundlegend nicht gut gespiegelt und unterstützt worden, so dass sich die Muskulatur, die Fähigkeiten gar nicht erst zu ihrer ganzen Kraft entwickeln konnten und bestimmte Muskeln sind deshalb eher schlaff? Oder wurde ich unterstützt, durfte aber mein volles Potential nicht so leben, wie es mir entsprochen hätte und wurde ständig zurück gehalten, wenn es nicht in die Regeln passte und den Erwachsenen einfach zu viel und zu lebendig wurde. Dann sind die muskulären Strukturen eher angespannt vom ständigen zurück-halten und kontrollieren. Zwei Seiten der gleichen Medaille, denn beide lernen ähnliche Dinge in den gleichen Lebensphasen.

Die erste Struktur: Existenz, früh und spät

Wenn wir in der ersten Phase unseres Lebens, wo wir erst einmal im Leben ankommen nicht willkommen geheißen wurden, unsere Energie, wir selbst nicht gespiegelt wurden, ist das sichere Sein in dieser Welt von Anfang an gestört. Und schon in der ersten Phase gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, damit umzugehen.

Es gibt die Menschen, die wir im Bodynamic “mental” nennen. Sie versuchen auftauchende Probleme über den Kopf zu lösen. Sie sind schnelle und kluge Denker:innen, straucheln aber immer wieder, wenn andere Menschen ihnen in Konflikten statt mit Argumenten mit ihren geballten Emotionen gegenüber treten. Das erleben wir in Beziehungen, in Freundschaften, bei Kolleg:innen und auch im Kontakt mit unseren Schüler:innen.

Und im Gegensatz dazu stehen die eher “emotionalen”. Für sie ist vieles gleich persönlich. Sie haben starke Emotionen, die schnell hoch kommen, sich nach außen ausdrücken. In kontroversen Diskussion erleben sie andere Argumente schnell als persönlichen Angriff und können sich nicht so gut regulieren und auf die Sachebene zurück finden.

Natürlich sind das Verallgemeinerungen oder Allgemeinplätze, wenn man es einfach so liest. Aber eines unserer persönlichen Erlebnisse in dieser schönen und lehrreichen Arbeitswoche war ein Paradebeispiel für diese Verhaltensweisen. Das Schöne in dieser Gruppe ist, dass wir zwei Männer und eine Frau sind. Und wir sind zwei Emotionale und ein Mentaler. Und so rasseln wir immer wieder in unseren Strukturen aneinander, gerade wenn uns diese menschliche Arbeit offen und verletzlich macht.

Die Existenzstruktur voll in Aktion

Eigentlich ging es “nur” um eine Diskussion, ob man sein Zwerchfell wirklich fühlen könne. Das ist keine fachlich leichte Diskussion, denn die Atmung hat sowohl bewusste als auch unbewusste Steuerungsmöglichkeiten. Das ist gut und wichtig, da es dem Überleben dient.

Aber auf einmal schlugen die Wellen hoch. Unser Mentaler versuchte seinen abweichenden Standpunkt durch genaues Erklären der neurologischen Zusammenhänge klar zu machen, mich in meiner Erregung zu stoppen, indem er immer wieder “langsam, langsam” sagte. Ich fühlte mich als Emotionale mehr und mehr angegriffen, in meinen Gefühlen gestoppt und abgewertet. Als ob mein ganzes Überleben davon abhinge, dass ich an dieser Stelle recht hätte. Ein Stück weit konnte ich mich beobachten und war erstaunt und entsetzt darüber, dass ich nicht auf die Sachebene zurück finden konnte. Wir stritten mehr und mehr bis auf einmal mein Kollege anfing, über seine Emotionen zu reden. Wie es ihn verletzten würde, dass ich ihn so angreifen würde, er wolle doch einfach nur verstanden werden. Und er wollte gern höflich und freundlich in der Diskussion bleiben. Er könne schließlich nicht sagen: halt die Klappe, ich werde langsam echt sauer!

Da wurde ich für einen Moment innerlich still. Wie konnte es sein, dass ich genau diesen Satz viel lieber von ihm gehört hätte als das höflich-beherrschte: langsam, langsam??

Was war passiert?

In dem folgenden Gespräch wurde es deutlich, was passiert war. Wir beide waren in Not, unsere Überlebenssysteme waren angetriggert. 😱

Der Mentale versuchte es zu durchdenken, Argumente zu finden, zu diskutieren. Irgendwie Ruhe in die ganze Aufregung, die vielen überschießenden Gefühle zu bringen.

Und ich als Emotionale brauchte dringend ein Gefühl. Gefühle lassen mich spüren, dass ich noch verbunden bin, dass ich jemandem wichtig bin, dass ich für ihn zähle, ihm nicht einfach gleichgültig bin. Denn Gleichgültigkeit kann in der ganz frühen Lebensphase Tod bedeuten. Wir tun alles, damit wir gehört werden und werden lauter und lauter.

Den Schlusspunkt setzte dann noch der 3. Kollege, dem auffiel, wie sehr er im Vorfeld zu diesem Konflikt beigetragen hatte. Er war schon mit einer hohen Ladung des Autonomen Nervensystems angekommen, hatte kleine Spitzen lange vorher in die Diskussion gebracht, so dass die Anspannung bei uns allen dreien schon höher war als die Tage vorher. Denn ohne dass es uns bewusst ist, beeinflussen sich Zustände des Autonomen Nervensystems immer. Das ist ein wichtiger Indikator für uns Menschen, um ein adäquates Verhalten zu finden, wenn wir uns (vermeintlich) in Gefahr befinden.

Wir waren sehr berührt über dieses Beispiel der Charakterstrukturen im echten Leben. So lange arbeiten wir schon zusammen, kennen uns so gut. Da tut es einfach gut, dass das Vertrauen zueinander so gewachsen ist, dass wir uns mit diesen Eigenschaften  zeigen, uns streiten, total missverstehen und uns dann wieder mit Tränen in den Armen liegen können, weil wir so berührt sind, dass wir das miteinander erleben.

Mein persönliches Fazit und ein Dank von Herzen

Bodynamic ist ein System, was das DU immer wieder als Spiegel nutzt. Um im späteren Leben andere Erfahrungen machen zu können als es uns im ganz frühen Leben passiert ist, brauchen wir Menschen, die uns etwas Anderes zurück spiegeln.

Und auch für mein Buch, was im Entstehen ist, ist Bodynamic ein Baustein. Denn all das, was wir erlebt haben und was sich auch körperlich zeigt, hat seinen Imprint in unserem Nervensystem hinterlassen. Die Frage, ob wir sicher sind, ob wir uns zugehörig fühlen, wird nicht nur bei Bodynamic gestellt. Sie verbindet uns auch mit der Polyvagaltheorie von Stephen W. Porges und darüber natürlich mit unserer Stimme.

So ist für mich all dies Wissen und sind die ganz persönlichen Erlebnisse immer wieder wichtig, um der Essenz dessen, was ich schreiben, unterrichten, lehren und leben möchte näher und näher zu kommen.

Danke, ihr wunderbaren Kollegen, dass wir auf diese so verbundene und ganzheitliche, emotionale und berührende Weise miteinander lernen können und miteinander und aneinander wachsen können. Ihr seid mehr als eine Bereicherung in meinem Leben. 🙏❤️

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