Ich hasse Werbe-Sprech und Werbe-Schreib

Ich habe länger überlegt, ob ich das Thema von Judith Sympatexter Peters, meiner derzeitigen absoluten Blog-Muse und ihrer wunderbaren Blog Gemeinschaft wirklich aufnehmen soll.

Aha, ein rant

“Diese Woche schreibt ihr, wenn ihr mögt, einen rant”

Hm, nie gehört – ach so, ein Thema, was euch wirklich aufregt. Eine Schimpftirade.

Also naja, da gibt es so Einiges, was mir einfiele. Ich bin nicht dafür bekannt, dass ich immer fröhlich lächelnd durch mein Leben schwebe. Wer mich kennt weiß, dass ich sehr wütend werden kann, mich über vieles maßlos aufregen kann – aber öffentlich darüber schreiben? Passt das in diesen Blog? Wie kommt so etwas an? Verschrecke ich damit nicht die Menschen?

Mein elektronischer Briefkasten

Und dann flatterte mir heute morgen eine E-Mail in den Postkasten, ein interessantes Thema, ein Webinar, kostenlos und ich dachte mir: das passt noch rein, das Thema finde ich auch interessant. Und vor allem kann ich es gut gebrauchen zum derzeitigen Punkt in meinem Leben.

Angemeldet und sofort kam die “Willkommens-E-Mail” oder wie man das auch sonst auf Neu-Internet-Sprech nennt. Und da lief auf einmal das Fass voller Frust der vergangenen 14 Monate über und ich konnte nicht mehr aufhören zu schreiben und in mein Handy zu diktieren.

Wisst ihr was ich so richtig nicht leiden kann? Und nun wird’s persönlich und ich falle gleich mal mit der Tür ins Haus.

Ich nenne es schlicht Phrasendrescherei

“Kennst du das auch, wenn du ….?” “Bist du auch schon so aufgeregt, dass … ?” “Mein Team und ich können es kaum erwarten, dass…” “Nur noch …. Tage, Stunden, Minuten, Sekunden bis… “

Diese Zähler in einer E-Mail, meine Güte, JA doch, Mama, ich habe es mir in meinen Kalender eingetragen – was soll der ganze blöde Rest? Nein, ich bin nicht aufgeregt, nein, ich kann es auch gut noch erwarten. Ich habe nämlich wirklich genug zu tun gerade im Moment.

Denn was ich kenne seit 14 Monaten ist das Gefühl, dass ich es vielleicht nicht rechtzeitig schaffe. Meine Webseite aufzusetzen, zu verstehen, was ein verdammter Affiliate Link ist, über den ich mich anmelden soll, wie ich Leadpages von einem Pagebuilder unterscheide und ob das eine besser, anders, teurer, billiger, hipper ist. Wer hat die besseren templates? Was ist ein Cookie consent oder heißt das ganz anders. Kekse sind lecker, blablabla.

Denn ich mache diesen ganzen Mist, damit ich konkurrenzfähig bleibe und nicht, weil ich das super-duper-spitzen-toll finde.

Er, der gefährlichste von allen – frei nach Schumanns Frauenliebe und Leben

Seit letztem Jahr wissen alle, dass der Beruf, den ich ausübe der gefährlichste der Welt ist. Nein, ich arbeite nicht auf einer Ölbohrinsel, ich fahre nicht zur See in einem Einhandsegler, ich besteige auch nicht den Mount Everest und andere fiese, wunderschöne Berge, sondern

ICH BIN SÄNGERIN !!!

Ich bin eine von denen, die die weltweit gefährlichsten Gifte mutwillig in die Luft pustet. Ich produziere Aerosole, indem ich spreche, aber eben vor allem singe.

Was ich nicht brauche

Ich mache also all das nicht, weil ich es liebe Zoom Konferenzen von mir unbekannten Menschen anzusehen. Ich mache all diese Kurse, damit ich endlich wieder meiner geliebten Arbeit nachgehen kann, singen, schreiben, unterrichten, Musik machen, mit Menschen sein und zwar live und in Farbe, lieben und leben. Dafür schlägt mein Herz.

Es schlägt nicht für unwiderstehliche Angebote, ich brauche keinen 7-figure launch, es sei denn dafür, dass ich all diesen Mist nicht immer wieder lesen muss.

Ehrliche oder eher polemische Frage

Mal ganz ehrlich die Frage an euch, die ihr diese Danke-Seiten, Landing- und Verkaufspages schreibt: haltet ihr mich eigentlich für komplett bescheuert? Haltet ihr mich für dumm? Was glaubt ihr, was ich darüber denke, wenn ihr mir erzählt, wie sehr ihr euch freut, mich endlich kennen zu lernen und dass es sooo (ja, mit drei “o’s”, denn eins reicht heutzutage nicht mehr aus) großartig ist, dass sich schon über …. (viele, viele, sehr viele, sehr, sehr viele) Leute angemeldet haben und ich möge doch gleich in die ach so tolle Facebook Gruppe “hüpfen”.

Nach Wut kommt Scham

Nach der Wut kommt die Scham. Die Scham darüber, dass ich es ja auch versucht habe. Aus lauter Verzweiflung, keinen Job mehr zu haben, nicht mehr gehört zu werden, unsichtbar zu werden, versuche ich seit Monaten alles Mögliche, um sichtbar zu werden. Ich schreibe auf Facebook manchmal um mein Leben. Ich möchte geliked werden, ich möchte gelesen werden, ich möchte, dass sich Leute zu unseren online-Kursen von Voice Experience anmelden. Aber ich kenne mich nicht sonderlich gut aus in dieser digitalen Welt, all das Technik-Kung-Fu, wie es Judith so liebevoll nennt, macht mir Kopfschmerzen.

Und vor allem, es fühlt sich so falsch an, so unehrlich, das bin nicht ich, das ist nicht meine Arbeit, das ist nicht mein Menschenbild und es ist schon gar nicht meine Sprache.

Aber wie verschafft man sich denn Gehör? Denn ich weiß, es gibt dort im digitalen All ganz viele Menschen, die mit mir arbeiten wollen, die in unserem Institut Voice Experience genau richtig aufgehoben sind, aber sie wissen nicht, dass es uns gibt, wie erreiche ich sie denn bloß?

Und ich hoffe so inständig, dass ich nicht auch diese Phrasen dreschen muss, lustige gifs erstellen, tolle reels machen und all das Youngster-Schicki-Micki mitmachen muss. Wie kann ich ehrlich und authentisch bleiben in diesem Zirkus? Und wie kann ich mir mein Mitgefühl erhalten? Denn all diese Menschen, die mich gerade so nerven mit ihren Worten wollen doch das gleiche wie ich, da bin ich tief im Herzen sicher.

Die wichtigste Frage ist doch die nach dem Sinn und dem Leben

Und die allerwichtigste Fragen: wann ist denn dann noch Zeit zum leben, zum lieben, zum Tanzen, die Welt zu genießen, zu wandern, in der Natur einfach nur zu SEIN? Löcher in die Luft schauen?

Wo bleibt all das, wenn ich bis tief in die Nacht mit dem Computer, den Themes und Word-Press kämpfe? Wo bleibt das, wenn ich all die Aufzeichnungen von Kursen ansehen muss, die mir hoffentlich endlich helfen, sichtbar zu werden? Wo bleibt mein Leben bei all den unwiderstehlichen Angeboten, Sommerkursen, damit ich auf keinen Fall mein Business vernachlässige?

Wo findet das wirkliche Leben denn statt? In der Zoom Konferenz??? Doch wohl kaum.

7 Kommentare

  1. Ich danke Dir so sehr (ganz ohne die drei üblichen ooo`s) für diesen “rant”, liebe Hilkea! Du sprichst mir aus dem Herzen. Auch ich bin so genervt von den aufgeplusterten, leeren Worten, die mich gefühlt an jeder Social Media Ecke anspringen. Und ich habe es so satt zu glauben, ich müsste mich auch so anpreisen, damit ich gesehen werde. Wo ich doch am allerliebsten einfach nur mit Menschen – ganz live und in Farbe – ihren Seelenbewegungen lausche und gemeinsam mit ihnen das Leben in all seinen Facetten erforschen möchte. Und vielleicht kommen eines Tages immer mehr Menschen darauf, dass das Leben jenseits von 0 und 1 stattfindet. Von Herz zu Herz, Mia

  2. Ach liebe Hilkea, wundervoll! Punktlandung, endlich durch dich kommt zum Ausdruck, was schon lang in mir schlummert zu diesem Thema. Wundervoll! Danke für diesen Rant!

    Liebste Grüße zu dir aus Wien!

  3. Oh liebe Hilkea, wie sehr ich dir zustimme! “Welche Ausrede hast du, meinen lebensverändernden Kurs nicht sofort zu buchen für Geld, das du nicht einnimmst, weil du meinen Kurs noch nicht absolviert hast?” Drei Mails am Tag, subtile Versagenszuweisungen, emotionale Erpressung – es ist so ekelhaft! Da könnte ich fast jeden Buchstaben mitranten, unabhängig davon, dass ich hobbymäßig denselben Hochrisikosport ausübe, der dein Brot sichert.

    Liebste Grüße aus Hamburg 🙃

    1. Ja, diese subtilen oder weniger subtilen Versagensängste zu schüren finde ich auch ganz mies. Und das Blöde ist, manchmal wirken sie, obwohl ich es weiß. 🙄
      “mit-ranten” ist ein tolles neues Wort, das werde ich mir merken 😃

  4. Liebe Hilkea, was für ein Text. Kann ich zu 100 % unterschreiben. Manchmal denke ich, es ist vielleicht doch auch eine Altersfrage. Für die jungen Menschen um mich herum ist das alles auch ein Spiel. Für mich in gewisser Weise auch – mit Canva Bilder und Collagen basteln macht mir Spaß. Aber ich merke auch, dass ich den Rest nur halbherzig mache (Instagram und Facebook), weil ich ja sehe, wer mir so folgt (50% merkwürdige Männer) und weil ich, ganz Tunnelblick, das Gefühl habe, alle auf diesen Kanälen wollen nur etwas verkaufen. Wenn nur die Hälfte davon so angenervt ist, wieviel Sinn macht es dann. Und trotzdem bespiele ich, mangels anderer Ideen, diese Kanäle. Einzig der Blog ist richtig für mich, nur den findet halt kaum jemand. Aber vielleicht ist es einfach so, dran bleiben, es so machen, wie es sich noch gut und authentisch anfühlt und dabei ins Universum vertrauen.
    Judith ist eine, die dieses Vertrauen auf ganz wunderbare Weise stärkt.
    Liebe Grüße Sylvia

    1. Ja, über die Altersfrage habe ich auch schon nachgedacht. Und da merke ich, dass ich bei FB ein wenig besser aufgehoben bin als bei Insta. Wenn man überhaupt von “gute aufgehoben sein” sprechen kann. Die “merkwürdigen Männer” lösche ich einfach und ich freu mich über die Sichtbarkeit und die netten und inspirierenden Kommentare von Freunden.
      Und ich bin immer wieder erstaunt, wie gut mein Blog angenommen und gelesen wird, obwohl ich ihn erst seit April betreibe. Ich bin gestern auf einer Tanzveranstaltung wieder angesprochen worden von zwei Menschen, wo ich es überhaupt nicht erwartet hatte. Da ist Vertrauen glaube ich eine gute Sache.
      Danke dir für den ausführlichen Kommentar, Sylvia 🙏

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